Wie geht New Work in systemrelevanten Berufen? - Part 4: Ein Interview mit Bengt Krauß von Freundeskreis Mensch

Bengt Krauß ist Diplom-Sozialökonom und geschäftsführender Vorstand des Freundeskreis Mensch, eines gemeinnützigen Vereins, der mit 350 hauptamtlichen Mitarbeitenden etwa 800 Menschen mit Behinderung verschiedene Unterstützungs- und Assistenzleitungen anbietet und ihnen so die weitestgehend selbstbestimmte Teilhabe an Gesellschaft und Arbeitsleben ermöglicht. Bengt Krauß hat das Demographie-Netzwerk mitgegründet und beschäftigt sich seit mehr als 25 Jahren beruflich mit den Möglichkeiten einer menschengerechten Arbeitswelt.
Gibt es Besonderheiten bei der Umsetzung von New Work in unserem sozialen Umfeld?
Ja, es gibt einige Besonderheiten und Grenzen bei der Umsetzung von New-Work-Ansätzen in unserem sozialen Umfeld. Als Einrichtung der Eingliederungshilfe unterliegen wir gesetzlichen Vorgaben, die unseren Handlungsspielraum mit Blick auf Flexibilität einschränken. Eine der zentralen Herausforderungen ist die Präsenzpflicht in den unterschiedlichen Leistungsbereichen.
Hinzu kommt die gesetzlich vorgeschriebene Fachkräftequote, die sicherstellt, dass immer ausreichend qualifizierte Mitarbeitende im Dienst sind. Dadurch sind Modelle wie eine selbstbestimmte Einteilung der Arbeitszeit oder ein höherer Grad an Selbstorganisation in den Teams nur eingeschränkt realisierbar. Unser Betriebszweck – die Assistenz von Mensch zu Mensch – erfordert zudem eine enge persönliche Begleitung, die nicht regelbasiert organisiert werden kann. Spontane und individuelle Bedürfnisse der Klientinnen und Klienten stehen oft im Vordergrund, was standardisierte und ortsunabhängige Arbeitsprozesse erschwert. Damit ist es nicht immer möglich Prinzipien wie eine hohe Eigenverantwortung oder eine starke Selbstorganisation im New-Work-Sinne umzusetzen.
Welche Erkenntnisse hat die Organisation gewonnen und was für Veränderungen wurden angestoßen?
Das New Work-Konzept wurde in den Experimentierräumen als sehr positiv wahrgenommen. Die Projektgruppe führte Interviews mit Mitarbeitenden durch, begleitete einzelne Mitarbeitende in ihrer Arbeit und führte einen Workshop mit allen Führungskräften durch. Die Zusammenarbeit verlief sehr engagiert und die Erprobung der einzelnen Tools wurde hausintern zügig umgesetzt. Trotz struktureller Grenzen konnten wir aus dem Projekt Impulse gewinnen, die uns helfen, innerhalb unseres Rahmens nach sinnvollen Möglichkeiten zu suchen unsere Arbeitsplätze zu gestalten. Im konkreten müssen wir uns beispielweise mit unseren Erwartungen an Kommunikation und Rollenwechseln auseinandersetzen. Zudem sollten Themen wie Verantwortung und die gemeinsame Ableitung von Zielen stärker in den Fokus rücken, um die Rahmenbedingungen in unserer Organisation optimal auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden auszurichten.
Was hat sich bei der Umsetzung von New Work in Ihrem Arbeitsumfeld als besonders herausfordernd, und was konnten Sie auch daraus mitnehmen?
Für unseren Verein, der in der Eingliederungshilfe tätig ist, bot die Auseinandersetzung mit New-Work-Ansätzen die Chance, unsere Arbeitsweisen kritisch zu reflektieren und neue Perspektiven zu gewinnen. Dabei wurde deutlich, dass die Übertragung von Konzepten auf unsere spezifischen Arbeitsrealitäten differenzierte Anpassungen erfordert. Unterschiedliche Teamstrukturen, Arbeitsabläufe und Bedarfe beeinflussen, wie gut sich Methoden integrieren lassen – ein wertvoller Lernprozess, der uns für zukünftige Entwicklungen sensibilisiert hat.
Einige Begriffe und Konzepte – besonders solche aus dem englischsprachigen Raum – wirkten auf den ersten Blick abstrakt oder fremd. Dennoch eröffnete die Auseinandersetzung damit die Möglichkeit, gemeinsam im Team über Sinn, Machbarkeit und Übersetzung in den eigenen Arbeitsalltag zu diskutieren. So konnten wir auch erkennen, wo wir neue Wege einschlagen wollen – und wo bewährte Strukturen Stabilität geben.
Ressourcenknappheit, Zeitdruck und bestehende Rahmenbedingungen stellen in einem anspruchsvollen und stark regulierten Umfeld wie unserem eine Herausforderung dar. Dennoch konnten wir im Projektverlauf wichtige Impulse aufnehmen, insbesondere zum Thema Selbstorganisation, Resilienz und Kommunikation. Auch wenn nicht alle Ansätze unmittelbar umsetzbar waren, wurde deutlich, wie wichtig kontinuierliche Weiterentwicklung und Raum für Erprobung sind, um nachhaltige Veränderungen anzustoßen.
Insgesamt hat uns das Projekt darin bestärkt, mutig neue Wege zu denken – immer mit Blick auf das, was für unsere Mitarbeitenden und Klient*innen sinnvoll und tragfähig ist. Die gesammelten Erfahrungen und Erkenntnisse werden uns auch über das Projekt hinaus begleiten und in zukünftige Entwicklungsprozesse einfließen.