Wie geht New Work in systemrelevanten Berufen? - Part 1: Ein Interview mit Prof. Dr. Caroline Ruiner

12. Juli 2024
Prof. Dr. Caroline Ruiner, Leiterin des Fg. Soziologie

Prof. Dr. Caroline Ruiner leitet den Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Hohenheim und ist Prorektorin für Digitale Transformation und Nachhaltigkeit. Der Lehrstuhl ist eine international sichtbare Einrichtung, die zum Wandel von Arbeit, zu neuen Arbeitsbeziehungen sowie zu den Veränderungen im Zuge der digitalen Transformation auf individueller, organisationaler und überbetrieblicher Ebene forscht und lehrt. Im Fokus stehen aktuelle Entwicklungen der Arbeitswelt, wie der Einsatz digitaler Technologien und der kulturelle Wandel. Im Rahmen des INQA-Experimentierraum-Projekts NewWork4KeyWorker (NW4KW) liegt der Schwerpunkt insbesondere auf der wissenschaftlichen Begleitung und Expertise bei der Durchführung der einzelnen Arbeitspakete.

Was bedeutet "New Work" für Sie und wie setzen Sie diesen Ansatz im Projekt NW4KW um?

Bei „New Work“ geht es vor allem um eine menschenzentrierte Perspektive auf die Arbeit. Dabei spielen verschiedene Aspekte eine wichtige Rolle bzw. fließen zusammen. Insbesondere geht es um Themen wie die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit, Selbstbestimmung, Partizipation und um die Frage, wie wir mit anderen zusammenarbeiten wollen. Deshalb spielen auch neue Führungslogiken, Formen der Zusammenarbeit und des Wissensaustausches eine wichtige Rolle.  

In dem Projekt „NW4KW“ greifen wir gemeinsam mit Beschäftigten und Führungskräften diese Aspekte von New Work auf und beziehen diese spezifisch auf deren Arbeitswelt und jeweiligen Bedürfnisse. Dazu wurde zunächst eine Bestandsaufnahme der aktuellen Arbeitsbedingungen und Rahmenbedingungen bei unseren Paxispartner:innen vorgenommen. Dies erfolgte mittels Interviews und tätigkeitsorientierten Begleitungen vor Ort. Auf dieser Basis wurden die aktuellen Herausforderungen und damit auch die Ansatzmöglichkeiten für New Work sehr gut deutlich. Da es bei New Work vor allem um die Mitbestimmung und Mitgestaltung der Betroffenen geht, setzen wir im Projekt NW4KW sehr stark auf einen stetigen Austausch und die Möglichkeit, schrittweise Anpassungen vornehmen zu können. Derzeit arbeiten wir in interprofessionellen Workshops mit den Beschäftigten an der weiteren Ausgestaltung der Experimentierräume.

Welche spezifischen Herausforderungen sehen Sie bei der Umsetzung von New Work in systemrelevanten Berufen?

Systemrelevante Berufe sind für das Funktionieren unserer Gesellschaft essentiell, gehen aber auch mit großen Belastungen für die Beschäftigten einher, sei es beispielsweise durch ständige Erreichbarkeit, hohe Arbeitsbelastung durch Aufgabendichte oder psychisch und physisch belastende Tätigkeiten. Hinzu kommen oft strenge gesetzliche Vorgaben und nicht zuletzt die mangelnde Anerkennung bestimmter Berufe. New Work-Ansätze können Möglichkeiten bieten, mit diesen Herausforderungen besser umzugehen. Wichtig ist dabei jedoch, dass die Betroffenen, in diesem Fall konkret die Beschäftigten in systemrelevanten Organisationen, in den Prozess einbezogen werden und so gezielt auf ihre Bedürfnisse eingegangen werden kann. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass aufgrund der Eigenschaften bestimmter systemrelevanter Berufe ein gewisser Handlungsrahmen bereits vorgegeben ist und bestimmte Gegebenheiten nicht verändert werden können, z. B. ist in bestimmten Berufen eine ständige Vor-Ort-Präsenz notwendig. Dennoch gibt es gerade in Bezug auf die Themen Selbstbestimmung oder Zusammenarbeit auch in systemrelevanten Berufen ein großes Potenzial.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in systemrelevanten Berufen in den letzten Jahren verändert und welche Rolle spielt NW4KW dabei?

Unsere Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren generell stark verändert und verändert sich weiter. Dabei spielen unter anderem die Themen Digitalisierung, demografischer Wandel, Klimawandel sowie wirtschaftliche und politische Unsicherheiten eine große Rolle. Dies hat folglich auch Auswirkungen auf systemrelevante Berufe und zeigt sich aktuell insbesondere beim Thema Fachkräftemangel und der damit verbundenen Überlastung der Beschäftigten, aber auch beim Thema Digitalisierung bzw. mangelnde Digitalisierung und der Frage, wie Potenziale aus der technischen Entwicklung zur Unterstützung der Beschäftigten eingesetzt werden kann.

Mit dem Projekt NW4KW möchten wir diesen Wandel und die damit einhergehenden Herausforderungen in der Arbeitswelt aufgreifen und gemeinsam mit unseren Praxispartner:innen nach Lösungen und Wegen suchen, um diesen in Zukunft besser begegnen zu können.

Was sind die langfristigen Ziele und Erwartungen des Projekts in Bezug auf die Arbeitswelt der Zukunft?

Das Projekt NW4KW will vor allem langfristige Impulse für eine sichere, gesunde und motivierende und damit attraktive Arbeitswelt in systemrelevanten Bereichen setzen. Ziel des Projektes ist es daher auch, Organisationen und deren Beschäftigte sowie Führungskräfte zu befähigen, ihre Arbeitswelt selbst mitzugestalten und das dafür notwendige Handwerkszeug zu mitzugeben. Das Projekt versteht sich somit als Wegbereiter und Impulsgeber, Neues auszuprobieren.

Können Sie schon allgemeine Handlungsempfehlungen oder Tipps geben, die im Sinne von New Work dabei helfen können, um mit aktuellen Herausforderungen in der Arbeitswelt umzugehen?

Eine Empfehlung, welche auf jeden Fall gegeben werden kann, ist sich mit der Thematik und Begrifflichkeiten im Kontext von New Work auseinanderzusetzen und alle Beteiligten dabei zu involvieren. Dies zielt auch schon auf einen weiteren wichtigen Aspekt ab, nämlich das Miteinbeziehen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, wenn es um Fragen zur Gestaltung ihrer Arbeitswelt und damit verbundenen Herausforderungen geht. Hier ist es besonders wichtig, für Transparenz, einen kontinuierlichen Austausch und eine offene Kommunikation zu sorgen. Wie gut dies funktioniert, hängt maßgeblich auch von der Kultur eines Unternehmens ab, die auf Innovationsfreude und einer gesunden Fehlerkultur basieren sollte. Für gelingende Veränderungsprozesse sollte auch die Rolle der Führungskräfte in den Blick genommen werden, denn sie haben einen großen Einfluss darauf, wie Veränderungen letztlich angenommen und umgesetzt werden. Sie könnten und sollten in diesen Kontexten als Vorbild vorangehen.